Digitalisierung der Gefühle?
Roland Benedikter
2017-09-25 00:00:00
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Firmen und Forscher arbeiten mit Macht daran, einerseits Computer mit Emotionen zu entwickeln, andererseits menschliche Gefühle zu computerisieren. Beide Entwicklungen sollen sich, so die Absicht, gegenseitig verstärken und im Ideal­fall vereinigen. Milliardengelder werden investiert, um die technische, ökonomische und menschliche Zukunft kurzzuschließen und damit die sogenannte Mensch-Maschine-Konvergenz zu erreichen. Jonathan Gratch, Direktor für Virtuelle Forschung am Institut für Kreative Technologien der Universität von Südkalifornien, äußert sich zum neuen Mensch-Technik-Hybridfeld des »Gefühlscomputing« folgendermaßen: »Kann eine Maschine menschliches Gefühl verstehen? Zu welchem Zweck? Und kann eine Maschine selbst Gefühl ›haben‹? Wie würde sich das auf die Menschen auswirken, die mit ihr interagieren?« Der Anwendungsfokus dieser Fragen ist unverkennbar, denn sie »stellen sich im Kontext sehr verschiedener Domänen, einschließlich der Medizin und Gesundheitsversorgung, der wirtschaftlichen Entscheidungsfindung und des Trainings zwischenmenschlicher Fähigkeiten.« Dasselbe gelte für die praktischen Implikationen von (noch zu entwickelnden) »Menschen-Computern«, computervermittelter Interaktion und Mensch-Roboter-Interaktion. Insgesamt mache das laut Gratch eine interdisziplinäre Partnerschaft zwischen den sozialen, den humanistischen und den Computerwissenschaften rund um das Thema Gefühl notwendig.

Gratch versucht – wie inzwischen viele andere auch –, Computermodelle kognitiver und sozialer Prozesse sowohl des individuellen wie des sozialen Menschen zu entwickeln. Ziel ist langfristig, Computern Gefühle zu geben, vor allem aber umgekehrt, menschliche Gefühle zu computerisieren – um Qualitätserfahrungen aufbewahren, erforschen, kopieren und schlussendlich verkaufen zu können. Man stelle sich vor, sagen diese Forscher, man könnte die inneren Qualitätserfahrungen von Gefühlen mittels Gehirnimplantaten oder anderen direkten Zusammenschlüssen zwischen Computern und menschlichen Gehirnen wie etwa Gehirn-Computer-Schnittstellen (Brain Computer Interfaces, BCIs) oder Gehirn-Maschine-Schnittstellen (Brain Machine Interfaces, BMIs), die heute in vielen Anwendungsbereichen bereits zum Standard werden, in einem virtuellen, nicht- oder hybridbiologischen Substrat aufbewahren und dann an andere weitergeben! Das wäre das Geschäft des Lebens – im wahrsten Sinne des Wortes. Es geht bei solcher Forschung insgesamt nicht vorrangig darum, die Erkenntnis des Menschen anhand des Einblicks in seine Gefühle zu vertiefen, sondern darum, menschliche mit artifiziellen, hauptsächlich technologischen »Agenten« zu »multiagierenden Systemen« zu verschmelzen. Dabei wird die Erfahrung von Ichheit, die beim Menschen im Wirklichkeitsprozess empirisch jedem Gefühl vorausgeht, stark vernachlässigt oder in ihrer Bedeutung für das Gesamt­-­ereignis menschlichen Gefühls gar ganz ignoriert.

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