Trendanalyse: Hirndoping, Bodytuning, Brainfood - Geschäftsmodellen der Zukunft
Sven Gábor Jánszky
2015-09-09 00:00:00

Was auf den ersten Blick verwirrend schien, war eine Reaktion auf einen damals wie heute klar erkennbaren Consumertrend: Bei ihrem Streben nach Verschönerung der eigenen Gestalt sind Menschen mehr und mehr willens direkt in ihren Körper einzugreifen. Hier entstehen große Chancen für neue Geschäftsmodelle in der Food-, Pharma-, Kosmetik- und Entertainmentindustrie. Über die außergewöhnlichen Thesen des Schönheitsexperten reden viele im 2b AHEAD-Netzwerk heute noch.

Der Grund für diesen heutigen Blick zurück ist, dass sich seit 2005 dieser Trend nicht verflüchtigt hat. Im Gegenteil, er wird stärker und erreicht aktuell eine neue Qualität: Seit neuste Studien belegen, dass die Hirnleistung nachweislich durch Medikamente gesteigert werden kann, ist unter Studenten die Einnahme von diesen "Neuropushern" zur Mode geworden.

Die ersten Signale für diesen Trend kamen aus Internet-Apotheken. In den letzten Monaten stieg der Verkauf des Parkinsonmedikaments "Sinemed" sowie des Medikaments "Modafinil" gegen die in Deutschland äußerst seltene Schlafkrankheit Narkolepsie sprunghaft an.

Der Grund: Zuerst unter amerikanischen Studenten, später auch unter ihren deutschen Kommilitonen war bekannt geworden, dass die Piloten der Kampfjets der US-AirForce die Medikamente benutzen um die Informationsaufnahme ihres Gehirns signifikant zu beschleunigen. Das Prinzip funktioniert auch für die Lernergebnisse von Studenten. Dabei spielt der Botenstoff Dopamin die Hauptrolle. Hirnforscher haben festgestellt, dass Dopamin bei Denk- und Lernprozessen im Gehirn verstärkt ausgeschüttet wird. Mehr noch: Versuche an Schimpansen haben ergeben, dass das verstärkte Vorhandensein von Dopamin mit großer Genauigkeit erfolgreiche Lernleistungen voraussagen kann. Die Schlussfolgerung ist einfach: Man nehme Dopamin und die eigene Hirnleistung wird steigen!

Brain-Tuning für Manager und Workaholics

Inzwischen nutzen laut aktuellen Studien 16 bis 25 Prozent aller amerikanischen Studenten vor wichtigen Prüfungen diese Medikamente. Besonders "Modafinil" hält nicht nur Patienten, die unter der "Schlafkrankheit" leiden wach, sondern wird auch gerne von Managern und anderen Workaholics eingenommen, um das eigene Schlafbedürfnis deutlich zu reduzieren. Ein weiterer netter Nebeneffekt des Präparates: die Leistungen des Kurzzeitgedächtnisses verbessert sich deutlich - anscheinend ein Wundermittel für bevorstehende Prüfungen und Vorträge. Das Medikament erfreut sich besonders in den USA großer Beliebtheit - hier kann man es ohne Rezept kaufen.

Neue Geschäftsmodelle für Pharma-Kosmetik-Food

Die Pharmakonzerne wittern einen riesigen Markt. Das belegen die immensen Investitionen die die Konzerne in die Erforschung solcher geistigen Turbolader investieren. So zum Beispiel an der Universität Münster: Hier untersuchen Forscher unterstützt von Pharmafirmen die Wirkung von Dopamin auf das menschliche Gehirn. Das Ziel: Präparate gegen schwache Gehirnleistungen ? vornehmlich für Schlaganfall-Opfer und Demenzkranke.

In einem Feldversuch versuchte man sich aber auch an gesunden Studenten. Mit eindrucksvollen Ergebnissen: Man verabreichte einer Gruppe von Studenten Dopamin, einen Botenstoff im Hirn, eine zweite Gruppe erhielt ein Placebo. Dann ließ man beide Gruppen Vokabeln büffeln. Das Resultat: all diejenigen, die Dopamin erhalten hatten, schnitten beim Abfragen der Vokabel besser ab, die Gedächtnisleistung war deutlich erhöht.

Seit die Resultate bekannt wurden braucht man sich offenbar über die Finanzierung solcher Forschungen keine Sorge mehr zu machen, der Geldsegen der Pharmaindustrie ist gewiss. Das bei dieser Großzügigkeit an einen viel größeren Markt als an die relativ kleine Gruppe von Demenzkranken gedacht wird, scheint den Branchenexperten bei dem Volumen der Investitionen als gesichert. "Alles weist daraufhin, dass der profitable Markt der gesunden Unzufriedenen erschlossen werden soll", so Thorsten Galert von der Europäischen Akademie zur Technikfolgenabschätzung in Bad Neuenahr.

Sinnessteigerung durch Gehirnpräparate

Dass Pharmakonzerne zunehmend auch gesunde Menschen als mögliche Kundschaft ins Visier nehmen wird deutlich an der Suche nach sogenannten Lifestyle-Präparaten. Seit dem Siegeszug von Viagra arbeitet weltweit ein großes Heer an ähnlichen Präparaten für den weiblichen Teil der Schöpfung. Zwar leiden diese nicht an Erektionsstörungen, doch 10 bis 30 Prozent aller Frauen leiden im Schlafzimmer Frust statt Lust. Diesen riesigen und lukrativen Markt gilt es zu erobern. Dies wird deutlich an den vielen Präparaten, die auf ihre Marktzulassung harren, wie beispielsweise PT-141, ein Stoff der noch dieses Jahr die Marktreife erhalten soll. Anstatt, wie Viagra im Unterleib die Wirkung zu entfalten, entfaltet PT-141 seine Wirkung im Hirn - wie man bereits weiß, das größte Sexualorgan des Menschen. In Feldversuchen erzeugte der Stoff ein deutlich gesteigertes Verlangen besonders bei Frauen.

Doch nicht nur die Pharmaindustrie ist aktiv. Auch im Foodbereich sind Produkte in Planung oder schon auf dem Markt, die auf die Verbesserung der Hirnleistung zielen. "Margarine die ihre Kinder intelligenter macht" und "Joghurt der ihr Denkvermögen steigert" sind mit Sicherheit nur die Anfänge.

Ethik debattiert das "Wie?" - nicht das "Ob?"

Die ethischen und gesellschaftlichen Folgen solcher Präparate sind natürlich umstritten. Die Frage scheint von solcher Brisanz, dass sich gar ein neuer Zweig der Philosophie herausgebildet hat - die Neuroethik. Besonders bei der Diskussion um die Verbesserung von kognitiven Fähigkeiten streiten sich die Geister.

Die Gegner der Neuro-Booster befürchten, dass durch die Einführung eines solchen Dopings für das Hirn, gesellschaftliche Zwänge weiter zunähmen und die Freiheit und die damit verbundenen Unabhängigkeit des einzelnen Menschen auf dem Spiel stünde: Wären einst Präparate ohne schädliche Nebenwirkungen auf dem Markt, wären diejenigen die sich weigern diese einzunehmen deutlich im Nachteile gegenüber jenen die sie nutzen. Sie könnten nicht die gleichen Leistungen erbringen - die Tour de France hat dies nur allzu deutlich gezeigt. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass mit der Markteinführung solcher Neuro-Enhancer geistige Fähigkeiten nicht von den angeborenen Fähigkeiten, sondern von der Geldbörse abhängen würden. Das Brain-Tuning wäre aus Kostengründen nicht für jedermann zugänglich. Es entstünde eine Neuro-Zweiklassengesellschaft.

Die Befürworter des Enhancement halten diese Sichtweise für inkohärent: Für sie besteht bereits in den verschiedenen Bildungssystemen die angeklagte Ungleichheit. Per Privatschule und Nachhilfeunterricht steht den Kindern reicher Eltern schon jetzt eine rosigere Zukunft offen, als denjenigen die sich diese Zusatzbildung nicht leisten können. Darüber hinaus würden die angeborenen biologischen Charakteristika eines Menschen schon für Ungleichheit sorgen: Um in einer Gesellschaft einen guten Posten einzunehmen benötigt es bestimmte Eigenschaften - meist eine hohe Intelligenz. Über diese verfügt aber nicht jeder Mensch im gleichen Maß; Menschen erhalten eben nicht von Natur aus die gleichen Startbedingungen. Es sei an der Zeit diese biologische Ungerechtigkeit mit Hilfe von neuen Technologien auszumerzen - ein staatlich gefördertes Enhancement für unterprivilegierte Kinder könnte hier eines Tages Abhilfe schaffen.

Allen ethischen und gesellschaftlichen Problemen zum Trotz - in den nächsten Jahren werden zahlreiche Lifestyle-Präparate, wie Gedächtnis-, Glücks-, und Lustpillen auf den Markt kommen. Und die Menschen werden sich ihrer bedienen - Viagra hat es vorgemacht. "So wie die Schönheitschirurgie unsere Vorstellung von ´normalem´ Aussehen wandelt, werden Neuro-Enhancements Normen verändern", so Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert, Expertin für Medizin-Ethik und Mitglied des Nationalen Ethikrates der Bundesregierung. Es gelte allein auf diesen Wandel vorbereitet zu sein und ihn in die richtigen Bahnen zu lenken.