Trendanalyse: Körperwelten 2020
Sven Gábor Jánszky
2015-09-10 00:00:00

Doch dies ist zu kurz gedacht: Im Jahr 2020 werden die neuen Anforderungen an Körperbild und Leistungskraft unsere Gesellschaft mehr verändert haben, als sich die Fitness-und Healthpropheten heute vorstellen. Denn dieser Trend werde über die kommenden zehn Jahre unsere bisherige Vorstellung von Körper und Identität massiv bedrängen, so unsere These von Jahresbeginn. Wenn Körperoptimierung zur Aufgabe wird, dann wird Body- und Hirndoping zur Normalität. Wenn lebenslange Fitness erstrebenswert wird, dann kommen individualisierte Medizin und Nanoroboter im Körper zum Einsatz. Wenn das menschliche Hirn eine Chance im weiteren Wettstreit mit Computern haben will, dann werden wir 2020 über Brain-Chips reden wie heute über künstliche Hüftgelenke.

Gemeinsam mit dem 2b AHEAD-ThinkTank haben die Conomic Marketing und Strategy-Consultants diese Thesen zu den "Körperwelten 2020" untersucht. In einer qualitativen Expertenstudie wurden Wissenschaftler aus Neurobiologie, Medizin und Dermatologie, Soziologen und Psychologen, Ingenieure und Robotik-Experten, aber auch Lifestyleredakteure und Unternehmer aus der Kosmetik- und Fitnessbranche befragt.

Entstanden ist die Trendstudie "Körperwelten 2020", die pünktlich zum Übermorgenkongress des ThinkTanks am 19./20. Oktober 2009 in Oldenburg vorgestellt wird. Im heutigen Trendinterview mit der Leiterin des Conomic Trendlab Dr. Gesa von Wichert lesen Sie heute schon vorab, einige der Trends und Prognosen.

Frau Dr. von Wichert, wie werden wir in 10 Jahren unsere Körper optimieren?

Jung bleiben zu wollen, wird der bestimmende Trend im Jahr 2020 sein. Diese Tendenz ist schon heute absehbar. Während die Schönheitsoperationen im korrektiven Bereich (also mit eindeutig medizinischer Indikation) nur langsam zunehmen, steigen die Operationen und Eingriffe, die uns jünger aussehen lassen, rasant an.

Besonders die über 30jährigen bestimmen diese Entwicklung, die sich in dem Werbeslogan "Ich will so bleiben, wie ich bin" perfekt ausdrückt. Jede dritte Frau in Deutschland würde "was an sich machen lassen." Der Trend erfasst aber auch immer Jüngere. 25 Prozent aller deutschen Jugendlichen würden sich einer Schönheitsoperation unterziehen, wenn sie die geschenkt bekämen.

Kann man sich diesem Trend entziehen?

Eher nicht, denn auch hier gibt es objektive Ursachen wie für wohl jede Entwicklung. Der immer stärkere Wunsch nach der Verbesserung der körperlichen und geistigen Attribute ist begründet durch das immer schneller werdende Umfeld, welches durch kurze Technologiezyklen hohe Anforderungen an unsere Körper und Köpfe stellt und uns zwingt, flexibel zu bleiben. Dies gilt übrigens nicht nur für das einzelne Individuum, sondern auch für die Gesellschaft als solches. "Gutes Aussehen und Fitness werden in unserer wettbewerbsorientierten Leistungsgesellschaft schon lange als Erfolgsindikatoren gewertet", so eine für die Studie befragte Psychologin.

Gehört dazu auch die Optimierung unserer Gehirnleistung?

Auch dieser Trend nimmt zu. Nicht umsonst ist Dr. Kawashimas Gehirnjogging seit Jahren unter den Top 3 der verkauften Konsolenspiele.

Der Markt ist riesengroß, allerdings sind die Ergebnisse der Lernwilligen eher mager. "Nur die Lösung ständig neuer Aufgaben bringt eine echte Kapazitätssteigerung des Hirns. Die Beschäftigung des Kopfes mit ähnlichen Aufgaben macht einen zwar bei genau diesen Lösungen schneller- Letztlich ist es aber so, als würde man auf Autopilot stellen und immer wieder dieselben Strecken fliegen", sagt in der Studie ein Gedächtnistrainer.

Dies hat inzwischen auch die Spieleindustrie erkannt. So kommen bereits die ersten Spiele auf den Markt, die das Hirn auf eine völlig neue Art und Weise fördern. Auch Interaktivität gewinnt beim Thema Gedächtnistraining an Bedeutung, denn das Spielen mit anderen führt zu Anerkennung, Motivation und bedient die zentrale Rolle der sozialen Komponenten.

Immer mehr Menschen greifen auch zu Präparaten, um Vergesslichkeit und Konzentrationsstörungen zu lindern und sich geistig fit zu halten.

Ist es nicht doch einfacher, auf Produkte der Pharmaindustrie zu setzen und medizinisch sein Hirn zu dopen?

Auch diesen Trend gibt es. Hier geht es vor allem um pflanzliche Präparate, die vor allem von älteren Menschen aufgrund von nachlassender Gedächtnisleistung konsumiert werden. Dass auch in jüngeren Zielgruppen ein starker Wunsch zum "Brain Doping" besteht, kann man anhand des Missbrauches von eigentlich für den Krankheitsfall entwickelten Neuroenhancern verdeutlichen. In den Vereinigten Staaten dopen sich bereits heute 25 Prozent der College-Prüflinge regelmäßig pharmakologisch.

Möglicherweise entsteht hier für die Foodbranche ein neuer Trend des "Brainfood", also Nahrungsmittel, die uns nicht nur satt sondern auch unser Hirn etwas leistungsfähiger machen. Das wäre dann eine Unterart des sogenannten "Functional Food", von dem einige Experten sagen, dass es schon 2015 bis zu 50% unserer Lebensmittel umfassen wird.
Gerade in der Pharmaindustrie gibt es aber auch einen gegenläufigen Trend, wie unsere Studie ergab. Weil man noch keine genau die Anzahl jener Menschen voraussagen kann, die Hirndoping nutzen würden, gleichzeitig aber die Entwicklungskosten für Präparate genauso hoch sind wie bei einem herkömmlichen Medikament, wird hier der Fokus eher auf andere Märkte gesetzt: Auf klarer umrissene Märkte mit einer festen Anzahl von Kranken und damit einem überschaubaren Risiko.

In diesem Zusammenhang sprechen wir in der Studie auch von einem so genannten Gesundheitsmarkt, für gesunde Konsumenten, und einem Krankheitsmarkt für klassische Patienten.

Gesundheit also als Konsummarkt?

Eindeutig ja. Das hängt auch mit der starken Medienpräsenz zusammen, die uns mit teilweise irrealen Idealen konfrontiert. Deswegen folgt dieser Markt auch den allgemeinen Konsumgesetzen. Auch die Ansprüche an den Lebensstil, insbesondere im Alter, sind stark gestiegen. "Es geht schon lange nicht mehr nur um Überleben, sondern darum, gut zu leben", erläutert eine für die Studie befragte Produktmanagerin aus der Pharmaindustrie.

Gesundheit und Fitness sind in diesem Sinne zu einem Konsumgut geworden, welches zu einer deutlichen Trennung von Gesundheits- und Krankheitsmarkt führt. Lifestyle und Health hingegen verbinden sich.

Welche Rolle spielt die Robotik bei den Trendprognosen des Jahres 2020? Werden wir irgendwann Computerchips im Körper haben?

Die Entwicklung in diesem Bereich ist schon sehr weit. Es ist faszinierend zu sehen, welche Möglichkeiten es bereits gibt, Hör- und Sehschwächen mit Hilfe von Chip-Implantaten auszugleichen. Allerdings bedarf es noch weiterer technischer Entwicklungen und biologischer Entschlüsselungen. Wahrscheinlich können wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass es 2020 schon in sehr vielen Bereichen möglich sein wird Dysfunktionalitäten des Körpers auszugleichen. Einer unserer Experten sagte, dass er es langfristig grundsätzlich für möglich hält - abgesehen vom Gehirn - jeden Körperbestandteil künstlich zu ersetzen. Dies wird aber definitiv einen weitaus längeren Zeitraum in Anspruch nehmen als die nächsten 10 Jahre.